Wenn das Gleichgewicht im Gehirn kippt: Wie neuronale Netzwerke psychische Störungen beeinflussen

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Die Funktionen unseres Gehirns werden maßgeblich durch das Zusammenspiel verschiedener neuronaler Netzwerke bestimmt. Drei dieser Netzwerke – das Default Mode Netzwerk (DMN), das Salienznetzwerk und das Zentrale Exekutive Netzwerk (ZEN) – sorgen in Balance für die flexible Anpassung an äußere Reize und innere Gedanken. Gerät dieses Zusammenspiel jedoch aus dem Gleichgewicht, können psychische Störungen wie Depression, Angststörungen, ADHS und PTBS entstehen. In diesem Artikel beleuchten wir, wie Dysfunktionen in diesen Netzwerken die psychische Gesundheit beeinflussen und wie sie mit spezifischen Störungsbildern zusammenhängen.

Kurz erklärt: Die drei zentralen Netzwerke im Gehirn

  • Default Mode Netzwerk (DMN): Aktiv, wenn wir nicht auf äußere Reize fokussiert sind, sondern uns selbst reflektieren oder in Gedanken abschweifen. Bei Überaktivität führt es zu Grübeln und endlosen Gedankenschleifen.
  • Salienznetzwerk: Ermittelt wichtige Reize in unserer Umgebung und sorgt dafür, dass wir auf relevante Informationen reagieren. Eine Überaktivität kann dazu führen, dass neutrale Reize als bedrohlich wahrgenommen werden.
  • Zentrales Exekutive Netzwerk (ZEN): Unterstützt fokussiertes Arbeiten, strukturierte Entscheidungen und Impulskontrolle. Wenn es schwach ist, sind Konzentrations- und Organisationsprobleme die Folge.

Depression: Wenn das DMN das Grübeln verstärkt und das ZEN schwach ist

Depressive Störungen stehen oft im Zusammenhang mit einer Überaktivität des Default Mode Netzwerks (DMN), das uns in einen ständigen Zustand des Grübelns versetzt. Betroffene erleben endlose Gedankenschleifen über negative Erlebnisse, Sorgen und Selbstzweifel. Da das DMN für innere Reflexion und Erinnerungsverarbeitung verantwortlich ist, verstärkt seine Überaktivität negative Gedankenmuster und hemmt den Zugang zu positiven Erfahrungen.
Das Zentrale Exekutive Netzwerk (ZEN) ist in diesem Fall oft unteraktiv, was es Betroffenen erschwert, aus dem Grübeln auszubrechen und aktiv Lösungen zu finden. Ein schwaches ZEN kann dazu führen, dass Betroffene Schwierigkeiten haben, Entscheidungen zu treffen und ihre Aufmerksamkeit auf Aufgaben zu lenken. Diese Kombination aus überaktivem DMN und schwachem ZEN verstärkt depressive Symptome und das Gefühl der inneren Lähmung.
Therapeutischer Ansatz: In der Therapie wird oft versucht, das DMN zu beruhigen und das ZEN zu stärken. Achtsamkeitsübungen und Kognitive Verhaltenstherapie sind wirkungsvolle Ansätze, um Gedankenschleifen zu durchbrechen und die Fähigkeit zu fördern, sich auf konkrete Aufgaben zu fokussieren.

Angststörungen: Wenn das Salienznetzwerk ständig auf „Alarm“ ist

Bei Angststörungen wie der generalisierten Angststörung oder der sozialen Phobie ist das Salienznetzwerk oft überaktiv und versetzt das Gehirn in eine ständige Alarmbereitschaft. Das Salienznetzwerk bewertet Reize, um zwischen gefährlich und harmlos zu unterscheiden. Bei einer Überaktivität werden auch neutrale oder ungefährliche Reize als potenziell bedrohlich wahrgenommen, was dazu führt, dass Betroffene sich in alltäglichen Situationen ständig angespannt und wachsam fühlen.
Ein überaktives Salienznetzwerk beeinträchtigt oft das Zentrale Exekutive Netzwerk (ZEN), was die Fähigkeit zur bewussten, ruhigen Reaktion einschränkt. Da das Gehirn in Alarmbereitschaft ist, fällt es Betroffenen schwer, ihre Aufmerksamkeit auf andere Aufgaben zu lenken oder sich von der empfundenen Bedrohung abzuwenden. Das DMN kann dabei zusätzlich aktiv werden und negative Zukunftsszenarien oder Sorgen verstärken.
Therapeutischer Ansatz: Angsttherapien zielen darauf ab, das Salienznetzwerk zu beruhigen und das ZEN zu stärken. Expositionstherapie, Achtsamkeitstraining und kognitive Verhaltenstherapie helfen dabei, die Bedeutung von Reizen neu zu bewerten und die Angstreaktion schrittweise zu reduzieren.

ADHS: Wenn das ZEN schwach ist und das Salienznetzwerk ständig ablenkt

Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist oft durch ein unteraktives Zentrales Exekutive Netzwerk (ZEN) gekennzeichnet, was die Fähigkeit zur Konzentration und Impulskontrolle beeinträchtigt. Betroffene haben Schwierigkeiten, ihre Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Aufgabe zu richten und sich von Ablenkungen abzuschirmen. Dieser Mangel an Fokus und Struktur führt zu typischen Symptomen wie Hyperaktivität und Impulsivität.
Das Salienznetzwerk, das wichtige Reize identifiziert, lenkt bei ADHS-Betroffenen oft die Aufmerksamkeit auf alles Mögliche – selbst auf unwichtige Reize. Dies führt dazu, dass Betroffene ständig abgelenkt sind und es schwerfällt, die Aufmerksamkeit zu steuern. Das DMN kann ebenfalls aktiv bleiben, was zu häufigem „Abschweifen“ und Tagträumen führt, da die Gedanken in nicht-relevante Themen abdriften.
Therapeutischer Ansatz: Die Behandlung von ADHS fokussiert darauf, das ZEN zu stärken und das Salienznetzwerk zu regulieren. Stimulanzien können die Aktivität des ZEN erhöhen, während Verhaltenstherapie und strukturierte Ansätze Betroffenen helfen, besser mit Ablenkungen umzugehen und ihre Impulse zu kontrollieren.

Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS): Wenn das Salienznetzwerk auf Trigger überreagiert

Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) tritt oft nach extrem belastenden Erlebnissen wie Unfällen oder Übergriffen auf. Bei Betroffenen ist das Salienznetzwerk häufig überaktiv und reagiert stark auf bestimmte Auslöser oder „Trigger“, die an das traumatische Erlebnis erinnern. Diese Aktivität versetzt das Gehirn in einen intensiven Stressmodus, was zu Flashbacks und stark emotionalen Reaktionen führt.
Das DMN ist oft involviert, wenn traumatische Erinnerungen unkontrolliert auftauchen und die Betroffenen in belastende Gedankenschleifen versetzt werden. Gleichzeitig ist das Zentrale Exekutive Netzwerk (ZEN) in diesen Momenten weniger aktiv, was die Fähigkeit, sich bewusst von diesen belastenden Erinnerungen zu lösen, stark einschränkt. Dies erschwert die Verarbeitung der Erinnerungen und kann zu Vermeidungsverhalten führen, um sich vor potenziellen Triggern zu schützen.
Therapeutischer Ansatz: Bei PTBS wird oft mit Expositionstherapie und achtsamkeitsbasierten Ansätzen gearbeitet. Diese sollen helfen, die übermäßige Reaktion des Salienznetzwerks zu verringern und die belastenden Erinnerungen kontrollierter zu verarbeiten. Auch EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) ist eine häufig eingesetzte Methode, um Traumata gezielt zu verarbeiten.

Fazit: Ein empfindliches Gleichgewicht und seine Auswirkungen

Die Balance zwischen dem Default Mode Netzwerk, dem Salienznetzwerk und dem Zentralen Exekutiven Netzwerk ist entscheidend für unsere psychische Gesundheit. Eine Dysfunktion in einem oder mehreren dieser Netzwerke kann zu spezifischen psychischen Störungen führen, die das Leben der Betroffenen stark belasten. Depressionen sind oft mit übermäßigem Grübeln im DMN verbunden, während Angststörungen durch ein hyperaktives Salienznetzwerk verstärkt werden. ADHS-Betroffene erleben aufgrund eines schwachen ZEN-Probleme mit der Fokussierung, und PTBS wird oft durch eine extreme Sensibilität des Salienznetzwerks für Trigger verschärft.
Moderne Therapieansätze setzen an diesen Netzwerken an und versuchen, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Achtsamkeitsübungen, Kognitive Verhaltenstherapie und bei Bedarf medikamentöse Unterstützung helfen dabei, die Balance zwischen den Netzwerken zu fördern und damit das seelische Wohlbefinden zu verbessern. Dieses Verständnis über die Netzwerke und ihre Wechselwirkungen bietet Betroffenen und Fachpersonen wertvolle Einblicke und Hilfen, um psychische Gesundheit zu stärken und Störungen gezielt zu behandeln.