Warum nicht alles ‚toxisch‘ oder ein ‚Trauma‘ ist – und warum ‚Red Flags‘ nicht immer beim anderen liegen

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In den letzten Jahren sind Begriffe wie „toxisch“, „Trauma“ und „Red Flags“ auf Social Media allgegenwärtig geworden. Es scheint, als würden viele Menschen schnell andere Menschen und ihre Verhaltensweisen in Kategorien einordnen, die oftmals negativ gefärbt sind. Der Partner meldet sich nicht sofort zurück? Toxisch. Die Freundin gibt ungebetene Ratschläge? Red Flag! Doch was passiert, wenn wir beginnen, alles, was uns nicht gefällt oder uns emotional herausfordert, mit solch problematischen Begriffen zu belegen? Oft verbirgt sich hinter der schnellen Diagnose des anderen als „toxisch“ oder „traumatisch“ etwas, das uns selbst betrifft.

Wann ist wirklich etwas „toxisch“ oder „traumatisch“?

Der Begriff „toxisch“ beschreibt ursprünglich etwas, das uns langfristig und wiederholt schadet – ein Verhalten, das destruktiv wirkt und unser Wohlbefinden systematisch untergräbt. „Trauma“ hingegen bezeichnet ein tiefgreifendes, psychisch belastendes Erlebnis, das dauerhafte Spuren im Gehirn und im emotionalen Erleben hinterlässt. Beide Begriffe haben also eigentlich eine sehr ernsthafte Bedeutung. Sie sollten für wirklich belastende, nicht für alltägliche Missverständnisse oder Meinungsverschiedenheiten verwendet werden. Wenn jeder emotionale Konflikt gleich als „toxisch“ oder „traumatisch“ bezeichnet wird, verlieren die Begriffe ihre Bedeutung und tragen dazu bei, dass wir das Gegenüber kaum noch als Mensch mit Ecken und Kanten wahrnehmen.

Sind „Red Flags“ immer bei den anderen?

„Red Flags“ zu erkennen, ist in Beziehungen durchaus wichtig – sie zeigen uns auf, wenn etwas im Miteinander gefährlich oder belastend wird. Doch oft werden sie vorschnell als Warnzeichen für das Verhalten des anderen interpretiert, ohne das eigene Verhalten zu reflektieren. Menschen sind komplex und so sind es auch unsere Beziehungen. Niemand ist perfekt, und viele der Dinge, die wir in anderen als „Red Flag“ erkennen, können auch von unserer eigenen Perspektive und unseren eigenen Wunden beeinflusst sein. Wenn wir beispielsweise ständig das Bedürfnis haben, uns von anderen zu distanzieren oder sie als „toxisch“ zu bezeichnen, kann dies ein Hinweis auf ein eigenes Bedürfnis nach Abgrenzung sein oder auf das eigene Gefühl der Unzulänglichkeit.

Warum die eigene Perspektive manchmal das Problem ist

Wir alle tragen persönliche Erfahrungen, Ängste und verletzte Gefühle mit uns herum, die unbewusst unsere Wahrnehmung verzerren können. Wenn jemand oft davon spricht, dass „alle Menschen um ihn herum toxisch sind“, kann dies auch ein Zeichen sein, dass diese Person bestimmte Unsicherheiten und Ängste hat, die sie auf andere projiziert. Ein Mensch, der in der Vergangenheit negative Erlebnisse hatte oder mit Bindungsängsten kämpft, neigt dazu, in Beziehungen nach „Red Flags“ Ausschau zu halten, auch wenn es keinen realen Grund gibt. Oft spiegelt das übermäßige Bedürfnis nach Warnungen und Etikettierungen eine tiefere Unsicherheit wider – die Angst vor Verletzung und der Wunsch, sich durch „Vorsicht“ zu schützen.

Verantwortung übernehmen: Ein gesunder Umgang mit Beziehungsthemen

Anstatt in allen zwischenmenschlichen Schwierigkeiten toxische Absichten oder traumatische Hintergründe zu suchen, ist es gesünder, sich selbst und den anderen gegenüber Verantwortung zu übernehmen. Ein erster Schritt dazu ist die Reflexion der eigenen Reaktionen: Warum hat mich das Verhalten so getroffen? Ist es wirklich das Verhalten des anderen, oder gibt es in mir alte Wunden, die erneut aufbrechen? Solche Fragen sind oft unangenehm, aber sie helfen dabei, Beziehungen bewusster zu gestalten und sich selbst besser kennenzulernen.
Wenn jemand ständig nach „Red Flags“ sucht, kann das dazu führen, dass auch positive Verhaltensweisen übersehen werden und Beziehungen vorschnell beendet werden. Dabei ist es normal und gesund, dass jeder Mensch Fehler macht und Beziehungen Ecken und Kanten haben. Der Fokus sollte nicht nur auf möglichen Warnsignalen liegen, sondern auch darauf, wie wir selbst mit Herausforderungen umgehen und ob wir uns in Beziehungen entwickeln können.

Nicht jeder Konflikt ist toxisch – sondern oft einfach menschlich

Beziehungen bestehen immer auch aus Konflikten, und das ist völlig normal. Meinungsverschiedenheiten und unangenehme Situationen bedeuten nicht, dass die andere Person „toxisch“ ist oder dass die Beziehung problematisch ist. Es ist wichtig, zwischen destruktiven und normalen Verhaltensweisen zu unterscheiden und auch den anderen als Menschen zu sehen, der ebenfalls Ängste, Bedürfnisse und Eigenheiten hat.

Ehrliche Selbstreflexion statt vorschneller Urteile

Bevor wir beginnen, alles, was uns nicht passt, als „toxisch“ oder „traumatisch“ abzustempeln, ist es ratsam, in sich zu gehen und ehrlich zu reflektieren. Warum fühlen wir uns so, wie wir uns fühlen? Oft sind die Dinge, die uns am meisten in Beziehungen triggern, Themen, die in uns selbst liegen. Indem wir lernen, uns selbst besser zu verstehen, können wir auch in Beziehungen reifer und entspannter reagieren – und letztlich erkennen, dass nicht alles ein „Red Flag“ ist, sondern häufig einfach menschlich.