ADHS und Hochbegabung oder beides?

Der Unterschied zwischen ADHS und Hochbegabung – oder beides?

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Warum sich viele Betroffene nicht richtig zuordnen können

“Ich kann sehr schnell denken, aber ich verliere mich darin. Ich sehe Zusammenhänge, aber vergesse Termine. Ich kann stundenlang über Themen sprechen, die mich interessieren – aber ich bringe kaum etwas zu Ende.”
So oder so ähnlich klingt es oft, wenn Menschen mit Hochbegabung und/oder ADHS ihr Erleben schildern. Die Symptome können sich ähneln: Unruhe, Reizoffenheit, schnelles Denken, emotionale Intensität, Schwierigkeiten mit Struktur. Und doch ist nicht beides das Gleiche.

Hochbegabt oder ADHS? Oder beides?

Hochbegabung ist keine Diagnose, sondern eine kognitive Besonderheit: ein IQ von etwa 130 oder höher, gepaart mit oft sehr schneller Informationsverarbeitung, hoher Merkfähigkeit, intensiver Neugier und analytischem Denken. ADHS hingegen ist eine neurologisch bedingte Störung der Selbstregulation, die Aufmerksamkeit, Impulsivität und Emotionssteuerung betrifft.

Und trotzdem gibt es viele Überschneidungen im Erleben:

  • Schnelles Denken, das sich wie ein innerer Strom anfühlt
  • Ideenreichtum, der Struktur schwierig macht
  • Reizoffenheit, die zu Erschöpfung führt
  • Emotionale Intensität, die schwer kontrollierbar scheint
  • Frustration, weil Erwartungen und Umsetzung auseinanderklaffen

Die doppelte Herausforderung: Wenn beides zusammenkommt

Menschen mit Hochbegabung und ADHS erleben oft einen tiefen Widerspruch: Sie können viel – aber sie kommen nicht voran. Sie begreifen komplexe Themen schnell, aber scheitern an Routinen. Sie werden für ihre Intelligenz gelobt, aber nicht für ihre Alltagsfähigkeit verstanden.

Das führt nicht selten zu einem starken inneren Kritiker: “Ich müsste doch besser funktionieren.” Oder: “Wenn ich wirklich so intelligent wäre, wäre mein Leben nicht so chaotisch.”

Doch genau hier liegt die Crux: Die Kombination aus hoher kognitiver Leistung und Aufmerksamkeits- bzw. Emotionsregulationsstörung kann besonders belastend sein. Und sie wird oft übersehen. Denn das eine kaschiert das andere.

Woran man den Unterschied erkennt

  • Menschen mit reiner Hochbegabung sind oft gut in der Lage, sich zu strukturieren, auch wenn sie sich langweilen. Sie erleben innere Unruhe meist nur bei Unterforderung.
  • Menschen mit ADHS kämpfen auch bei interessanten Themen mit Struktur, Zeitmanagement und Emotionsregulation.
  • Menschen mit beidem zeigen häufig extreme Diskrepanzen zwischen Potenzial und Umsetzung. Sie überfordern sich mit ihren eigenen Ansprüchen, erleben chronische Frustration und ein instabiles Selbstbild.

Was hilft?

Der Schlüssel liegt in der Differenzialdiagnostik: Eine gründliche Diagnostik, die kognitive Profile, Lebenslauf und Alltagsverhalten einbezieht, kann Klarheit schaffen. Und: Es braucht keine Entweder-oder-Entscheidung. Beides darf da sein. Beides darf gesehen werden.

Hilfreich sind:

  • Psychoedukation zu beiden Themenfeldern
  • Coaching, das sowohl Strukturhilfen als auch Stärkenintegration beinhaltet
  • Therapie, die den Selbstwert stärkt und innere Widersprüche auflöst
  • Anerkennung, dass kognitive Stärke nicht automatisch emotionale Stabilität bedeutet

ADHS und Hochbegabung schließen sich nicht aus. Sie können auch gemeinsam auftreten – sich gegenseitig verstärken, aber auch blockieren. Wer beides in sich trägt, braucht keine Zuschreibungen, sondern Differenzierung. Kein Entweder-oder. Sondern ein Verstehen, das Komplexität erlaubt.

Denn gerade diese Komplexität birgt ein enormes Potenzial. Wenn sie gesehen und verstanden wird.