Selbstmitgefühl bei ADHS entwickeln

“Ich bin nicht mein Chaos” – Selbstmitgefühl bei ADHS entwickeln

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Warum Freundlichkeit mit sich selbst der wichtigste Schritt ist

Viele Menschen mit ADHS kennen das Gefühl, gegen sich selbst zu kämpfen: gegen das Vergessen, das Aufschieben, das Zuvieldenken, die plötzlichen Gefühlsausbrüche. Die innere Stimme ist dabei selten freundlich. Sie sagt Dinge wie: „Warum kriegst du das nicht hin?“ oder „Reiß dich endlich zusammen.“ Solche Sätze klingen nach Disziplin – aber sie erzeugen vor allem Druck. Und Druck verschlimmert ADHS-Symptome oft noch.

Dabei ist es genau diese Härte, die viele von klein auf kennen. Wer schon früh als „zu laut“, „zu verträumt“, „zu emotional“ galt, entwickelt oft eine kritische Haltung sich selbst gegenüber. Diese innere Stimme wird zur täglichen Begleiterin. Sie fordert, sie wertet, sie vergleicht. Und sie lässt wenig Raum für Mitgefühl – obwohl gerade das so dringend gebraucht wird.

Selbstmitgefühl heißt nicht: aufgeben oder sich aus der Verantwortung ziehen. Es heißt: anerkennen, dass man kämpft. Es heißt: sich mit demselben Mitgefühl zu begegnen, das man einem nahen Menschen entgegenbringen würde. Denn genau das fehlt vielen mit ADHS: die Erfahrung, dass man auch dann liebenswert ist, wenn man nicht funktioniert.

Ein erster Schritt dahin ist das Erkennen der eigenen inneren Stimme. Wie redest du mit dir, wenn etwas schiefläuft? Was passiert, wenn du unpünktlich bist, einen Termin vergisst oder in einer Situation emotional überreagierst? Meist kommt dann nicht Trost, sondern Selbstkritik. Doch genau in diesen Momenten bräuchte es das Gegenteil.

Man kann lernen, mit sich selbst anders zu sprechen. Das beginnt bei kleinen Gesten: eine Hand auf dem Herzen, ein bewusster Atemzug, ein Satz wie „Es ist gerade schwer – und das darf sein.“ In diesen Augenblicken entsteht etwas Neues. Ein Gegenüber in sich selbst, das nicht antreibt, sondern hält. Und das verändert langfristig auch den Umgang mit Herausforderungen.

Selbstmitgefühl ist besonders dann wichtig, wenn ADHS den Alltag erschwert: Wenn die Gedanken kreisen, die Reize zu viel werden, die Struktur bricht. In solchen Momenten braucht es keine neuen To-do-Listen, sondern innere Erlaubnis: zu atmen, zu spüren, freundlich mit sich zu bleiben. Wer sich selbst nicht als Feind, sondern als Verbündeten erlebt, hat eine andere Grundlage für Veränderung.

Natürlich braucht ADHS Strategien, Unterstützung, manchmal auch Medikamente. Aber ohne Selbstmitgefühl bleibt all das ein Kampf. Denn wer nur funktioniert, aber nicht mit sich verbunden ist, wird irgendwann müde. Selbstmitgefühl ist keine Schwäche – es ist eine Kraftquelle. Sie erinnert daran, dass man nicht sein Chaos ist. Sondern ein Mensch mit Chaos – und mit Würde.
Vielleicht ist genau das der Anfang: nicht weniger von sich zu verlangen, sondern mehr für sich da zu sein. Inmitten von Unordnung, Gefühl und dem Drang, alles richtig machen zu müssen, die eigene Seite zu wählen. Freundlich. Echt. Und genug.