Komorbiditäten: Wenn ADHS nicht alleine kommt
Warum ADHS selten allein auftritt – und wie man den Überblick behält
Viele Menschen mit ADHS haben nicht nur mit der Aufmerksamkeits- und Impulssteuerung zu tun, sondern auch mit anderen psychischen Belastungen. Das nennt man Komorbiditäten. Der Begriff klingt technisch, bedeutet aber etwas sehr Menschliches: dass ADHS häufig nicht isoliert auftritt, sondern mit weiteren Störungen einhergeht.
Warum ist das so?
Ein Gehirn, das Reize schwer filtern, Emotionen schlecht regulieren und Aufgaben schwer strukturieren kann, ist anfällig für weitere Belastungen. Zudem wachsen viele Menschen mit ADHS in einem Umfeld auf, das ihre Besonderheit nicht versteht. Kritik, Ausgrenzung oder Misserfolgserfahrungen hinterlassen Spuren.
ADHS ist deshalb oft nicht nur ein neurologisches Thema, sondern auch ein biografisches. Die Folge: Viele Betroffene entwickeln sekundäre Störungen wie Angst, Depression oder Sucht.
Häufige Komorbiditäten bei ADHS
- Depressionen: Chronische Selbstzweifel, Überforderung und unerfüllte Erwartungen führen häufig zu Niedergeschlagenheit, Antriebslosigkeit und sozialem Rückzug.
- Angststörungen: Wenn das Leben als unvorhersehbar erlebt wird, entsteht schnell ein Gefühl von Kontrollverlust – das begünstigt Generalisierte Angst, soziale Phobie oder Panikattacken.
- Suchterkrankungen: Um die innere Unruhe zu dämpfen oder den Dopaminmangel auszugleichen, greifen viele Betroffene zu Substanzen wie Alkohol, Nikotin, Cannabis oder zu riskantem Verhalten (Essen, Kaufen, Gaming).
- Essstörungen: Impulsives Essverhalten, Körperbildprobleme und Versuche, Kontrolle über das Chaos zu bekommen, führen nicht selten zu Anorexie, Bulimie oder Binge Eating.
- Persönlichkeitsstörungen: Vor allem emotional instabile (Borderline-)Persönlichkeitszüge können sich ähneln – Differenzierung ist entscheidend.
- Autismus-Spektrum-Störungen (ASS): In manchen Fällen bestehen Überschneidungen oder Doppelbefunde. Wichtig ist hier eine differenzierte Diagnostik.
Was Komorbiditäten mit der Behandlung machen
Je mehr Störungen gleichzeitig bestehen, desto wichtiger ist eine strukturierte Herangehensweise. Manchmal verdeckt eine Komorbidität das ADHS – z. B. wenn die Depression im Vordergrund steht. In anderen Fällen verschärfen sich Symptome gegenseitig.
Ein gutes Behandlungskonzept nimmt deshalb alles in den Blick:
- Was ist Ursache, was Folge?
- Welche Symptome müssen zuerst behandelt werden?
- Was ist ADHS, was ist erlerntes Verhalten?
Was hilft?
- Gründliche Diagnostik: Nur wer das ganze Bild kennt, kann gut behandeln.
- Multimodale Therapie: Eine Kombination aus Medikamenten, Verhaltenstherapie, Coaching und Psychoedukation.
- Stabilisierung: Bevor große Veränderungen angegangen werden, braucht es oft erst mehr Sicherheit, Struktur und Alltagshilfen.
- Selbstmitgefühl: Viele Betroffene sind hart zu sich. Es hilft, zu verstehen: Es ist nicht “zu viel kaputt”, sondern komplex.
ADHS kommt selten allein. Aber das heißt nicht, dass alles zu viel ist. Mit Klarheit, Zeit und dem richtigen Support lassen sich auch komplexe Bilder gut behandeln. Wichtig ist: nicht vorschnell urteilen, sondern genau hinsehen. Hinter jedem “Zusatzproblem” steckt oft eine Geschichte, die verstanden werden will. Und wenn das gelingt, ist echte Entwicklung möglich – auf vielen Ebenen gleichzeitig.