Was passiert bei Angst und Angststörungen im Gehirn? Ein Blick auf das, was uns Angst macht

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Angst ist ein Gefühl, das uns alle begleitet – manchmal als kurze Reaktion auf eine akute Gefahr, manchmal als tiefsitzendes Gefühl, das uns im Alltag stark beeinträchtigt. Aber was passiert eigentlich im Gehirn, wenn wir Angst empfinden? Und wie unterscheiden sich normale Ängste von einer Angststörung? Ein Einblick in die Mechanismen der Angst hilft uns zu verstehen, warum wir in bestimmten Situationen so reagieren, wie wir es tun.

Was ist Angst, und warum empfinden wir sie?
Angst ist eine natürliche und überlebenswichtige Reaktion. Sie hilft uns, Gefahren zu erkennen und auf sie zu reagieren. Dabei unterscheidet sich die „kurze“ Angst, die wir als Furcht bezeichnen, von der länger andauernden Angst. Während Furcht auf eine konkrete Bedrohung reagiert und schnell wieder verschwindet, ist Angst oft ungerichtet und länger anhaltend. Sie bereitet uns darauf vor, auf mögliche Bedrohungen in unserer Umgebung wachsam zu sein.
Die Reaktion auf Bedrohungen wird durch ein Netzwerk aus Hirnregionen gesteuert, das besonders die Amygdala einbezieht – ein kleines, mandelförmiges Areal im Gehirn, das Emotionen und Bedrohungen verarbeitet. Wenn die Amygdala eine Gefahr erkennt, wird blitzschnell eine Reaktionskette ausgelöst: Das Herz schlägt schneller, die Muskeln spannen sich an, und wir sind bereit zu kämpfen oder zu flüchten.

Angststörungen: Wenn das „Alarmsystem“ überaktiv wird
Angststörungen sind mehr als nur vorübergehende Ängste. Bei Betroffenen wird das „Alarmsystem“ des Gehirns dauerhaft überaktiv, was dazu führt, dass selbst harmlose Situationen als bedrohlich empfunden werden. Diese ständige Alarmbereitschaft kann das Leben stark belasten und führt oft zu Vermeidungsverhalten, bei dem Situationen oder Orte gemieden werden, die Angst auslösen könnten.
Die Amygdala spielt bei Angststörungen eine zentrale Rolle. Sie ist der Teil des Gehirns, der Bedrohungen erkennt und uns zur Vorsicht anhält. Bei Menschen mit einer Angststörung kann die Amygdala besonders empfindlich auf bestimmte Reize reagieren und verstärkt auf Situationen reagieren, die andere Menschen als ungefährlich einstufen würden. Diese ständige Alarmbereitschaft führt zu einer Überaktivierung und verstärkt die Wahrnehmung von Bedrohungen.

Das „Two-System Framework“: Wie Angst und Furcht getrennt verarbeitet werden
In der Forschung hat sich das Modell des „Two-System Framework“ durchgesetzt, das Angst und Furcht in zwei getrennte Verarbeitungssysteme unterteilt. Das eine System ist für die schnelle, unbewusste Reaktion auf Bedrohungen verantwortlich. Dies geschieht in der Amygdala und den subkortikalen Bereichen, die instinktive, automatische Reaktionen ermöglichen. Dieses System löst das „Flucht-oder-Kampf“-Verhalten aus und bereitet uns darauf vor, sofort auf Gefahren zu reagieren.
Das zweite System, das im präfrontalen Kortex und in anderen höheren Hirnregionen sitzt, ist für die bewusste Verarbeitung von Bedrohungen zuständig. Hier werden Gefahren analysiert und bewertet, und es wird entschieden, wie die Bedrohung zu bewältigen ist. Dieses System ermöglicht uns, „rational“ mit Ängsten umzugehen. Wenn jedoch dieses zweite System nicht gut funktioniert, wie bei vielen Angststörungen, können Betroffene ihre Ängste schwer kontrollieren.

Angst und das Salienznetzwerk: Wenn das Gehirn zu viel Bedeutung zuschreibt
Ein weiteres wichtiges Netzwerk für die Verarbeitung von Angst ist das Salienznetzwerk. Dieses Netzwerk hilft uns, auf relevante Reize zu achten und zwischen wichtigen und unwichtigen Informationen zu unterscheiden. Bei Menschen mit einer Angststörung kann dieses Netzwerk jedoch „überreagieren“ und selbst neutralen Reizen eine hohe Bedeutung zuschreiben. Das führt dazu, dass alltägliche Situationen als potenziell gefährlich eingestuft werden. So kommt es oft zu einem „Teufelskreis der Angst“, bei dem die Betroffenen zunehmend angespannt und gestresst sind.

Vermeidungsverhalten und Grübeln: Die Rolle des Default Mode Networks
Das Default Mode Network (DMN) ist ein Netzwerk im Gehirn, das aktiv ist, wenn wir nicht mit der Außenwelt beschäftigt sind – etwa, wenn wir nachdenken oder uns sorgen. Bei Menschen mit Angststörungen wird das DMN oft überaktiv und führt zu intensivem Grübeln und Besorgnis. Dies verstärkt die Symptome, da das Gehirn ständig in einem Modus der Bedrohung und Selbstreflektion bleibt. Dieses „Grübeln“ bindet kognitive Ressourcen und kann die Konzentration und die Fähigkeit zur Problemlösung beeinträchtigen.

Die Auswirkungen auf das tägliche Leben und Ansätze zur Linderung
Menschen mit Angststörungen empfinden den Alltag oft als stark belastend. Die ständige Überaktivität des Gehirns führt zu körperlichen und psychischen Erschöpfungszuständen, die sich in Schlafstörungen, Gereiztheit und Rückzug aus sozialen Situationen zeigen können. Vermeidungsverhalten verstärkt die Angst, da das Gehirn nicht lernt, dass viele Situationen sicher sind. Hier helfen therapeutische Ansätze, wie die kognitive Verhaltenstherapie, die darauf abzielt, den Betroffenen Werkzeuge an die Hand zu geben, um die Angst schrittweise zu bewältigen.

Strategien zur Kontrolle der Angst: Wie können Betroffene die Kontrolle zurückgewinnen?
Es gibt viele Ansätze, die helfen können, die Symptome von Angststörungen zu lindern und besser mit der Angst umzugehen:

  • Expositionstherapie: Dieser Ansatz hilft, das Gehirn neu zu „programmieren“, indem Betroffene schrittweise angstauslösende Situationen erleben und lernen, dass keine echte Gefahr besteht. Die Amygdala gewöhnt sich durch diese kontrollierten Expositionen an die Reize und reagiert weniger intensiv auf die angstauslösenden Stimuli.
  • Kognitive Verhaltenstherapie: Diese Form der Therapie hilft Betroffenen, ihre Gedankenmuster zu identifizieren und zu verändern. Es geht darum, die irrationalen Gedankenkreisläufe zu unterbrechen, die die Angst verstärken. Die CBT hat sich als besonders wirksam bei der Behandlung von Angststörungen erwiesen.
  • Achtsamkeit und Atemtechniken: Praktiken wie Meditation, Atemübungen und Achtsamkeit helfen dabei, das Salienznetzwerk und die Amygdala zu beruhigen. Durch diese Techniken kann der Körper lernen, sich zu entspannen, und das Gehirn kann aufhören, ständig nach Bedrohungen Ausschau zu halten.
  • Medikamentöse Behandlung: In schweren Fällen können Medikamente eingesetzt werden, um die Aktivität der Amygdala und die Freisetzung von Stresshormonen zu regulieren. Diese Medikamente helfen oft dabei, die Symptome zu lindern und die Therapie zu unterstützen.